Heute will ich eine kleine Geschichte vom Übertreiben erzählen.
Gebet ist eine gute Sache, wie ich finde. Viel Gebet ist noch besser , dachte ich damals.
Wir hatten häufig größere Konferenzen mit bis zu 350 Besuchern an den offenen Abenden. Sehr oft waren die verschiedenen Arten des Gebets und der prophetische Dienst das Thema.
Eine "normale" Abendversammlung konnte schon mal fünf Stunden dauern - das braucht einiges an Ausdauer für einen Lobpreisleiter, aber auch für die Sprecher und Teilnehmer.
Während der "Toronto-Welle" ging es oft heiß her bei uns. Da wurde richtig gefeiert, bis zum Abwinken gelacht, oder auf dem Boden rumgerollt. Löwengebrüll und Kriegstänze gab es auch schon mal. Ja wir waren des öfteren regelrecht "betrunken" vom Heiligen Geist Ich war vollzeitig in einer Schule für Gebet und Prophetie angestellt, wo ich den Lobpreis leitete und auch als Bibellehrer fungierte.. Einmal fuhr ich schon fast in Schlangenlinien mit dem Auto nach Hause und musste den ganzen Weg über nur lachen. Jedes Auto und alle Menschen, die ich unterwegs sah, lösten Heiterkeitsstürme bei mir aus. - Ich war ein "Holy-Ghost-Junkie".
Nach der Versammlung kippte ich aber noch ein bis zwei halbe Liter Weizenbier in mich hinein und setzte mich vor die Glotze, um "von der Salbung runterzukommen", weil ich ja am nächsten Morgen wieder auf der Bühne stehen musste. Ich brauchte meinem Schlaf dringend, denn Konferenzen sind sehr anstrengend für Lobpreisleiter.
Es gab allerdings einige Bibelschüler bei uns, die noch jung und unverbraucht waren und die Nächte durchmachten. Nicht mit Weizenbier, um sich abzuregen, sondern mit Gebet und Weissagen.
Als ich davon hörte, fand ich es ziemlich Klasse, wie hingegeben diese jungen Leute an den Herrn waren - war es doch auch mein Traum, beständig mit dem Herrn im Gebet, Lobpreis und Anbetung zusammen zu sein. - Ich will mehr von Dir, Herr Jesus - war das große Schlagwort damals.
Schüler schenkten uns Mitarbeitern zum Abschied des Trimesters mal ein Sweatshirt mit dem Aufdruck: More , Lord. Denn das war unser Standardgebet. "Meeeehr Herr"
Die junge Schweizerin Antoinette und ihre Schwester konnten den Hals von Gebet, Lobpreis und dem Weissagen auch nicht vollkriegen.
Während einer dieser durchbeteten Nächte passierte es dann: Antoinette rastete völlig aus und ihre Schwester wusste sich nicht mehr zu helfen. Sie rief bei unseren Leitern an, die sofort unsere beste Gebetskämpferin losschickten um zu helfen.Antoinette kroch auf allen Vieren durch die Wohnung und hatte keinerlei Orientierung mehr. Dabei sah sie nicht glücklich aus, wie die meisten "Erschlagenen im Geist" sondern verzog das Gesicht zu einer animalischen Fratze. Unsere Mitarbeiterin konnte ihr auch nicht weiterhelfen und so kamen der Bibelschulleiter und ich zum Einsatz. Wir brachten sie in die Notaufnahme der Medizinischen Hochschule. Ihr Geisteszustand war beängstigend und so wurde sie stationär in die geschlossene Psychiatrie in Kötenwald aufgenommen. Sie murmelte nur unzusammenhängendes Zeug und gab tierische Laute von sich. Irgendwie schien mir ihr Gebaren wolfsähnlich zu sein.
Dabei war sie auch teilweise aggressiv und wehrte sich gegen die Medikamente, die man ihr verabreichen wollte. Durch gutes Zureden meinerseits (sie hatte offenbar Vertrauen zu mir) schluckte sie endlich ihren Cocktail mit Neuroleptika und so kam ich irgendwann nachts nach hause.
Man kann wirklich Alles übertreiben!
Nach ca. einer Woche hatte man unsere Bibelschülerin duch Medikamente und Therapie aus dieser psychotischen Episode herausgeholt und sie kam bald wieder zur Bibelschule. Die versprochene Diskussion und Analyse dieses Ereignisses unter uns Mitarbeitern blieb aus. Zuerst hieß es, wir sollten erstmal den Schock über das Erlebte verdauen, um dann später sachlich über die Ursachen dieses Ausrasters reden zu können, was ich erstmal schluckte.
Das Thema wurde aber nie wieder aufgegriffen! Unsere Bibelschulleitung hatte wohl mit dem Leiter von einer anderen Bibelschule gesprochen, der verlauten ließ, daß solche Vorkommnisse bei denen auch mindestens einmal im Jahr vorkämen. Das wären eben Menschen mit einem latenten Hang zur Psychose (oder Besessenheit), die unter der verschärften Gegenwart Gottes zum Ausbruch käme, wenn die Leute nicht mit Sünde oder okkulten Belastungen in ihrem Leben aufräumten.
Schuld hatten selbstverständlich die Kranken selbst - mit der Glaubenspraxis auf der Bibelschule hatte das selbstredend nicht das geringste zu tun! Denn wir waren ja völlig im Strom des heiligen Geistes und von ihm geführt und geleitet.
Ich habe mich später oft gefragt, was aus Antoinette wohl geworden ist und ob es ihr gut geht. Denn bei manchen Menschen (selten) bleibt es nicht bei einer psychotischen "Episode", sondern, die Anfälle kommen wieder und werden chronisch.
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