Donnerstag, 22. November 2012

5 Wochen Hölle - Teil 2

Kortisontherapie
Am nächsten morgen nach meiner ersten Kortisontablette fühlte ich mich wie vom Zug überrollt. Ich musste mich nach dem Duschen und Frühstück wieder hinlegen. Keine Kraft, keine Power.
Am Mittag schaffte ich es vorsichtig zum nahen Rewe-Markt rüberzuschleichen um mir eine Zeitung zu holen. Ich humpelte sehr langsam dorthin, aber gottseidank hatte ich keine Rückenschmerzen mehr.
Nur wegen meiner körperlichen Schwachheit und der Kortisontabletten begann ich gewisse Ängste aufzubauen.
Zu hause konnte ich mich kaum aufs Zeitunglesen konzentrieren, irgendwie war es mir zu mühsam und ich konnte auch nicht richtig gucken. (Wegen der Augentropfen, die ich 5mal am Tag nehmen musste, dachte ich mir) Ich las nur Vorderseite und Rückseite samt einigen fetten Überschriften.
Nachmittags lag ich dann wieder eine Weile im Bett und saß eine Weile im Sessel. So ähnlich sahen alle folgenden Tage aus.

Auf Fernsehen oder PC konnte ich auch kaum konzentrieren. Und ich hatte daß Gefühl von Tag zu Tag eher schwächer als stärker zu werden. Essen konnte ich auch nur kleine Mahlzeiten. Und ich begann mir Sorgen wegen meines Magens zu machen. Ich nahm zwar eine Kapsel Lansolprazol am Abend als Magenschutz zur Verminderung der Magensäure, hatte aber das Gefühl, daß sie nicht ausreicht.

Ich hoffte nur die 10 Tage Kortison heil zu überstehen, da ich meinen ganzen ramponierten Zustand dem Kortison zuschrieb. Gottseidank konnte ich wieder einigermaßen schlafen, weil mir mein Hausarzt ein leichtes Schlafmittel verschrieben hatte.
Ich googelte über die Nebenwirkungen des Kortison und fand heraus, daß es neben den Magenproblemen auch Kaliummangel und eine Erhöhung des Blutzuckers verursachen kann. So aß ich ab und zu eine Banane und trank ein Glas Milch, welche reich an Kalium sind.
Am meisten nervte mich mein Überempfindlichkeit gegen alles Laute und vor allem das laute Reden oder Gespräche. Nach einer Stunde Besuch meiner Kinder oder von Freunden war ich völlig mit den Nerven am Ende. Einfach weil mich die Gespräche so anstrengten.
Auch der Fernseher musste immer ganz leise gestellt werden. Und Musik hören ging auch kaum, nur im Liegen auf dem Sofa leise Gitarrenmusik hören war möglich.
Angeblich konnte diese Geräuschüberempfindlichkeit bei Facialesparesen auftreten. Schade nur daß kein Arzt mir das gesagt hatte. So schob ich erstmal Panik bis ich diese Dinge im Internet erklärt fand.
Ich leide sowieso unter Ängsten weil ich mir Sorgen über unbekannte Neben- und Wechselwirkungen der vielen Tabletten, die ich nehmen muß, mache. Und gelegentlich habe ich echte Panikattacken mit Todesängsten wegen rein gar nichts! Nur weil sich meine blühende Phantasie gerne schlimme Szenarien ausdenkt.
 "Was wäre wenn mein Magen völlig schlapp macht oder ich noch zusätzlich eine Grippe bekäme? Was wäre wenn ich meine starken Blutdrucktabletten nicht mehr nehmen kann? Gerät mein Blutdruck dann völlig außer Kontrolle?
Was passiert mit meinem Blutzucker, wenn ich nichts mehr essen kann aber weiter mein Insulin spritze? Welche Medikamente darf ich überhaupt noch nehmen, wenn ich nichts mehr essen kann?"
 Am Sonntag gab es Käsespätzle zum Mittagessen. Ein Überbleibsel einer Feier im Freundeskreis, auf die ich leider verzichten musste weil es mir so schlecht ging.
Kurz danach wurde mir speiübel, obwohl ich mit Vorsicht und Bedacht gegessen hatte. Und dazu ein Völlegefühl des Magens ohnegleichen. Meine Frau fuhr mit mir am späten Nachmittag zum Maschsee, wo wir ein paar hundert Meter spazieren gingen.
Nach dem Abendbrot wurde mir wieder speiübel und es dauerte 2 Stunden bis das Völlegefühl langsam nachließ. Ich ließ meine Kortisontablette weg. "Das halte ich keine 10 Tage durch", sagte ich mir, "nun hast du sieben volle Tage das Zeug genommen und dein Magen ist offensichtlich in Arsch",dachte ich mir. "Das muß dann wohl das befürchtete Magengeschwür sein".

Als sich beim Frühstück wieder diese Übelkeit samt einem Hitzegefühl im Brustkorb einstellte beschloß ich zum Arzt zu gehen. Meine Frau fuhr mich hin, denn ich war schon seit Wochen nicht mehr in der Lage allein Auto zu fahren. Zuerst wegen der starken Schmerzmittel und nun wegen der fortschreitenden körperlichen Schwäche und völliger Unfähigkeit mich zu konzentrieren.

Die Ärztin, eine Vertretung meines Hausarztes erklärte mir welche Medikamente ich im Moment lieber nicht nehmen sollte, bemerkte daß ich völlig exsikkiert (ausgetrocknet) sei und man für "so etwas" auch mal ins Krankenhaus gehen könne. Ich konnte mich nach einer Weile überhaupt nicht mehr auf ihre Empfehlungen für meine Medikamente und das Insulin konzentrieren und fühlte mich einfach nur noch völlig überfordert und ich hatte Angst daß mir Fehler bei der Medikamenteneinahme passieren könnten.
So ließ ich mir lieber eine Krankenhauseinweisung schreiben.
Zu hause packten wir erneut meine Krankenhaustasche und fuhren in die nächste Notaufnahme in ein Krankenhaus mit einer Abteilung für "Innere Medizin".

Notaufnahme und Station für innere Medizin
Ich schlurfte in die Notaufnahme, während meine Frau das Auto parkte. Kaum hatten wir uns mit der Einweisung und Krankenkassenkarte angemeldet bekam ich schon ein Bett noch auf dem Flur und konnte liegen und mich zudecken. Ich war dankbar.
Das Warten gestaltete sich diesmal schneller, vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil ich im molligen Bett liegen durfte.
Es wurde ein EKG gemacht und Blutdruck gemessen. Die Internistin nahm mir Blut ab und legte eine Verweilkanüle über die ich sofort einen Tropf eingeflößt bekam.
Sie fragte mich umfassend über meine Vorgeschichte und Krankheiten, Medikamente etc. aus. Meiner Meinung nach hatte sie es sehr drauf und war auch menschlich sehr in Ordnung.
Ein Röntgenbild meiner Lunge wurde noch gemacht und danach wurde ich auf meine Station geschoben und in ein Zimmer gebracht.
Leider war die Station komplett voll mit Patienten und ich wurde als Vierter in ein Dreibettzimmer geschoben und am Fenster untergebracht. Nach kurzer Zeit holte man mich dort wieder heraus, weil der Norovirus im Zimmer grassierte und schob mich zu drei älteren Patienten - wieder ans Fenster.
Dort stand eigentlich vorher ein Tisch und Sitzgelegenheiten, welche man auf den Flur geschafft hatte.
Es zog am Fenster als meine Frau die Klappe öffnete - es war ziemlich schlechte Luft im Raum.
So behielt ich meiner Bekleidung erst einmal an, damit ich nicht fror - denn die Heizung war abgestellt.
Meine Frau ging und ich zog mir den Schlafanzug samt Kapuzenjacke an als die Infusion durchgelaufen war. Meine Reisetasche stand neben mir auf der Fensterbank weil kein Schrank mehr frei war.
Ich hatte keine Lampe über dem Bett aber man gab mir wenigstens eine lange Klingelschnur, damit ich mich bemerkbar machen konnte.
Obwohl ich MCP-Tropfen gegen Übelkeit bekam wurde mir nach der kleinen Portion Mittagessen erneut sehr schlecht, ich wurde total kraftlos und wie erschlagen.
Später kam die Oberarztvisite und ich war erstaunt, daß er sogar wie ein normaler Mensch mit mir redete. Außerdem half er meinem Nachbarn, der auf der Bettkante saß wieder zurück ins Bett, was ich noch nie in meinem Leben einen Oberarzt habe tun seh'n - Ich habe einige Jahre selbst im Krankenhaus gearbeitet und war auch schon monatelang Patient in diversen Einrichtungen.
Auch die Schwestern und Pfleger wirkten sehr nett und menschlich auf mich, obwohl bei der Überbelegung großer Stress herrschte. Lag es daran, daß es ein kirchliches Haus war? Auch ein Kruzifix hing an der Wand. Da hängt der Lattensepp, dachte ich mir und konnte keinerlei Verbindung von diesem Kruzifix zu meinem echten, lebendigen Herrn Jesus herstellen.

Mein Bettnachbar war ein 84igjähriger Herr, der einen Aszites (Wasseransammlung im Bauch) hatte und dadurch schlecht Luft bekam. Außerdem war er Diabetiker mit unglaublich hohen Zuckerwerten. Dazu hatte er Schmerzen im Rücken, Lebermetastasen und war sehr schwach und oft verwirrt. Er klingelte ständig, weil er Begleitung zur Toilette brauchte oder quer im Bett lag und Ähnliches. Ständig redete und rief er durchs Zimmer, wobei ihm niemand antwortete. Dazu kamen immer wieder laute Schmerzensschreie: Oi Oi Oi in den höchsten Tonlagen. Den anderen Patienten ging es selber schlecht. Ich sagte ihm daß er klingeln solle wenn er Hilfe bräuchte.
Ein anderer Patient hatte ein Beatmungsgerät für die Nacht, das ständig laute Pieptöne von sich gab. So war an Schlaf kaum zu denken.
Die nette phillippinische Krankenschwester, die mich auch auf die Station gefahren hatte gab mir netterweise "Lärmstop" Ohrenstöpsel, als ich sie darum bat. Mit diesen und der Hilfe einer Schlaftablette konnte ich tatsächlich einige Stunden Schlaf finden. Allerdings ging nachts um drei das große Licht an, weil ein anderer Patient gesäubert und gedreht werden musste. Er hatte chronischen Durchfall.

Am nächsten Nachmittag wurde glücklicherweise ein anderer Patient entlassen, so daß ich mein Provisorium am Fenster verlassen konnte und einen Schrank bekam. Kurz nach meinem Umzug kam jedoch wieder ein neur Patient auf meinen alten Platz am Fenster. Er war bettlägerig und nur am Schlafen. Noch ein Pflegefall aus dem Altenheim.

Gastroskopie
Morgens bekam ich eine Infusion und ein paar Tropfen gegen die Übelkeit, die immer noch nach dem Essen auftrat, so daß ich Angst hatte überhaupt etwas zu essen, weil ich danach immer völlig erschlagen war. Am dritten Tag bekam ich kein Frühstück sondern wurde im Bett zur Gastroskopie gefahren. Ich hatte eine wahnsinnige irrationale Angst vor der Untersuchung, weil ich mich noch an das letzte Mal erinnern konnte, wo es mir unglaublich schwer fiel, den Schlauch zu schlucken, weil ich den Würgereflex einfach nicht unterdrücken konnte. Man beruhigte mich damit, daß ich einen Kurzrausch vor der Gastro bekommen würde.
Weil ich das Gefühl hatte immer schwächer zu werden hatte ich auch eine irrationale Angst vor dem Sterben entwickelt welche sich durch kleinste Anlässe oder Befürchtungen immer weiter aufschaukelte. Würde ich bei Gott sein wenn ich im Jenseits erwachte? Oder hatte Gott mich verlassen? Schließlich ließ er ja auch diese ganzen Krankheiten zu.
Ich betete still vor mich hin als ich auf dem Flur auf die Untersuchung wartete, während geschäftige Menschen an mir vorbeigingen.
Glücklicherweise war die Krankenschwester von der Gastroskopie sehr nett und freundlich und nahm sich Zeit mit mir zu reden und mich zu beruhigen.
Ich wurde bald in den Raum geschoben wo die Untersuchung stattfinden sollte und wartete dort auf den Arzt, der die Gastro durchführen sollte.
Bald war es soweit und die Schwester meinte daß sie nun gleich mit der Kurznarkose beginnen würden.
"Jetzt können sie gleich etwas Schönes Träumen, vom Strand in der Südsee und Palmen", sagte sie. "Wovon würden sie denn gerne träumen"? "Von Gott" erwiderte ich. "Von Gott"? Ungläubiges Stirnrunzeln. "Na ich bin doch hier in einem frommen Haus" gab ich zurück, "also warum sollte ich nicht von Gott träumen"? Allgemeines Geräusper im Raum. Offenbar waren die Anwesenden nur sehr mäßig fromm.
Und ich stellte mir tatsächlich vor im Thronsaal Gottes zu sein während ich sanft in den Halbschlaf hinüberglitt. Die Untersuchung ging vorbei ohne daß ich etwas davon mitbekam und ich war sehr dankbar dafür, als ich wieder aufwachte. Mir war gar nicht so gewesen als ob ich wirklich geschlafen hätte.

>> Fortsetzung

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