Die Gastroskopie ergab, wie die Ärzte mir sagten, nichts Aufregendes. Allerdings sei dort eine Stelle zwischen Magen und Speiseröhre die entzündet ist und Zellveränderungen aufwies. "Nichts Bösartiges", wurde mir versichert, aber so was könne schon mal entarten, wenn man nicht aufpasse und regelmäßig Magenpillen nähme. Zumindest für die nächsten 6-8 Wochen."
Klar, daß ich schnell Panik entwickelte und mich auf dem Weg zum Magenkrebs sah.
Weil ich ja mittlerweile immer das Allerschlimmste befürchtete.
Weil ich so geschwächt war und meine Immunabwehr damit auch würde ich mir bestimmt noch den Norovirus einfangen.
Die harte Krankenhausmatratze verursachte nachts immer wieder Rückenschmerzen. Was wäre wenn die nun wieder so schlimm würden wie am Anfang?
Was war die Ursache für meine körperliche Schwäche und die Konzentrationsstörungen? Vielleicht hatte ich doch einen Schlaganfall erlitten, den die Neurologen übersehen haben? Ich kann ja auch gar nicht mehr richtig lesen, vielleicht deuten diese Sehstörungen auf eine neurologische Krankheit hin?
Mittlerweile war ich durch die nächtlichen Ruhestörungen, Schlafmangel und die ständigen Klagen und Hilferufe meines kranken Mitpatienten zusätzlich mit den Nerven runter, was an dem Tag eskalierte, als zwei Schwesternschülerinnen mir das Angebot machten mich in ein ruhigeres Zimmer zu verfrachten.
Endlich erlöst, dachte ich mir und konnte es kaum glauben.
Nach ca. einer halben Stunde, ich wartete auf die Verlegung, gestand mir eine der Beiden kleinlaut, daß jemand schneller gewesen war und der Platz schon besetzt sei.
Am frühen Abend bekam ich eine Panikattacke und glaubte ich sei rettungslos verloren und zum Sterben verurteilt. Bestimmt würde mein Herz nun auch schlapp machen - hatte ich doch den Eindruck nicht mehr richtig Luft zu kriegen. Ich fing an leicht zu hyperventilieren.
"Ralle du weißt doch was passiert wenn man hyperventiliert, du warst doch mal Krankenpfleger. Nun reiße dich bloß zusammen und atme ruhig", sagte mir die Stimme der Vernunft. "Das ist nur eine Panikattacke und keine Atemnot", sagte mir die innere Stimme.
Ich wurde immer unruhiger und hatte die Angst kurz vor einer echten, akuten Psychose zu stehen, weil ich auch komplett durcheinander war - alles im Raum schien so unwirklich zu sein, ich konnte mich kaum erinnern was ich vor 2 Minuten getan hatte - ob ich meine Pillen alle genommen hatte usw. Die Angst nahm einfach überhand und überwältigte mich völlig.
Eine Schwester, die im Raum war bemerkte das es mir nicht gut ging und fragte warum ich so tief und beschleunigt atme. "Das ist wohl eine Panikattacke", erwiderte ich.
"Wovor haben sie denn Angst?", fragte sie nach. "Das es mit mir immer weiter bergab geht, ich werde doch von Tag zu Tag schwächer." Und ich bemühte mich ihr meine ganzen Ängste zu schildern, was nicht gerade einfach war. Sie hörte geduldig zu, obwohl auf der Station sehr sehr viel zu tun war, und die Schwestern und Pfleger im Laufschritt arbeiten mussten, wie ich natürlich schnell bemerkt hatte.
Ich war sehr dankbar daß mich jemand ernst nahm und mir Mut zusprach. "Sie sind ein guter Mensch," lobte ich sie als sie ging und sie sagte danke. Die Panik ließ langsam nach.
Am nächsten Morgen erwischte ich die Stationsärztin auf dem Flur und fragte ob die Gastroskopie schon völlig ausgewertet sei und ob man eventuell "Helicobacter-Pylori Bakterien" gefunden hätte.
Anschließend bat ich sie flehentlich mich doch in ein anderes Zimmer zu verlegen, da ich mit den Nerven völlig am Ende sei. Die Schlaflosigkeit durch die nächtlichen Störungen und das ständige Rufen und die Ängste meines todkranken Bettnachbarn waren einfach nicht mehr auszuhalten. Ich fühlte mich ständig aufgefordert ihm zu helfen, wo es mir doch selber so schlecht ging.
"Ich weiß nicht ob ich in diesem Zimmer noch so eine Nacht durchhalte!", flehte ich verzweifelt.
"Das mit der Verlegung geht leider nicht!", erwiderte die Ärztin. "Herr Förthmann, körperlich sind sie soweit in Ordnung, das was jetzt noch übrig ist, ist allein psychisch! Das hat uns auch der Neurologe bestätigt der sie untersucht hat. Der hat im übrigen empfohlen die Dosis ihres Antidepressivums zu erhöhen!" Sie zeigte mir den Untersuchungsbericht des Neurologen, welcher eigentlich gern Citalopram verordnet hätte, aber alternativ auch die Dosis meines Doxepin von 35mg auf 60mg vorschlug, da ich das ja anscheinend gut vertrüge.
Ich war höchstgradig alarmiert und bat: "Bitte bitte kein Citalopram! Davon habe ich das letzte Mal erst recht Panikattacken bekommen. Ich bin so hochempfindlich bei Pschopharmaka und habe auch Angst vor der Erhöhung von Doxepin!" "Aber es würde ihnen sicherlich helfen!", erwiderte die Ärztin und wir einigten uns darauf es erst einmal bei der üblichen Dosierung zu belassen. Ich würde nach meiner Entlassung meinen Psychiater kontaktieren und die Frage mit ihm weiterbesprechen.
Allerdings waren die Medikamente für diesen Tag schon gestellt und ich bemerkte am Abend 2 Pillen Doxepin in meiner Medizinschachtel statt einer. Die Worte der Ärztin: "Es würde ihnen aber helfen", hallten noch in meinen Gedanken nach und so schluckte ich am Abend todesmutig die beiden Tabletten, worauf sich ein starkes Hitzegefühl in meiner Brust einstellte. Ich wusste nicht ob es die Nebenwirkung der Tabletten war oder einfach nur wieder eine Panikattacke.
Jedenfalls überlebte ich und am nächsten Morgen ging es mir sogar etwas besser.
Nun musste ich nur noch das Wochenende überleben, denn am Montag sollte ich höchstwahrscheinlich entlassen werden. Während meiner Zeit dort im Krankenhaus fand ich immer wieder etwas Zeit und Muße zu beten, sei es flüsternd in meinem Bett oder halblaut in der Sitzgruppe am Ende des Flurs, wenn dort niemand anders saß. An diesem Tag hatte ich um einen Engel gebetet, der an meinem Bett Wache hält und mir die Hände hält...
Am Nachmittag kam ein ältere Dame vom Besuchsdienst der Krankenhausseelsorge ins Zimmer und fragte, ob sie für uns irgend etwas tun könne. Da sich niemand anderes meldete sprach ich sie an.
"Tja wenn ich lesen könnte hätte ich gern eine Tageszeitung, aber ich kann mich ja leider sowieso nicht aufs Lesen konzentrieren. Außerdem kann ich zur Zeit so schlecht gucken."
"Soll ich ihnen vorlesen?", fragte sie zurück. "Da lag vorhin so eine Hannoversche Allgemeine Zeitung auf dem Tisch in der Sitzgruppe, würden sie mir wirklich vorlesen?" fragte ich ungläubig.
"Ich weiß nicht ob ich das sehr gut kann, ich bin da völlig aus der Übung und wahrscheinlich stottere ich dabei," gab sie zurück, "aber wir können es gern einfach mal probieren."
Sie holte die Zeitung vom Flur, setzte sich an mein Bett und fragte was mich interessierte. "Der Sportteil," antwortete ich, "alles über Hannover 96, den Trainer Slomka oder die Spieler"
Während sie vorlas rannen mir die Tränen nur so runter. Ich war so dankbar, daß sich da einfach jemand für mich Zeit nahm, sich mit mir unterhielt und die Zeitung vorlas. Ich dachte an mein Gebet vom Morgen und wusste: Das hier war mein Engel für diesen Tag, den Gott mir in seiner großen Freundlichkeit geschickt hatte. Unerwartet und anders als ich gedacht hatte, aber dennoch ein Bote der Güte Gottes. Engel sind ja übersetzt einfach "Boten Gottes" und können im biblischen Sinne durchaus normale Menschen sein...
Ich überstand das Wochenende unter Anderem mit einigen Guten Unterhaltungen mit einem russischen Fernfahrer, der wegen Lungenentzündung im Krankenhaus war. In der Ukraine geboren, aber in Sibirien aufgewachsen erzählte er mir viel über sein Leben und wir unterhielten uns freundschaftlich über Gott und die Welt. Ich fand es toll endlich mal einen echten Russen kennen zu lernen und fragte ihn über Vieles aus. Es war der netteste und freundlichste Mensch im ganzen Krankenhaus, hatte ich den Eindruck. Und er sprach sehr gut deutsch. Ich nannte ihn "Towarisch", wofür es angeblich kein genaues deutsches Wort gibt. Die Bedeutung von Freund oder Kumpel sind wohl nicht exakt.
Am Montag wurde ich tatsächlich nach Hause entlassen. Seitdem geht es mir von Tag zu Tag körperlich etwas besser. Nach fünf Wochen, welche ich mehrheitlich im Bett verbracht hatte waren meine Muskeln ziemlich schlaff geworden und atrophiert und ich hatte ca. 9 Kilogramm abgenommen. Leider nicht unbedingt an den Stellen, wo ich es gern gehabt hätte! Kein Arsch mehr in der Hose, sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne, dünner im Gesicht und an den Fingern. Ich musste auch ein zusätzliches Loch in meinen Gürtel machen weil sonst die Hose rutschen würde.
Auch die Dosiserhöhung meines Doxepin behielt ich bei, weil ich merkte, daß es mir tatsächlich gut tat.
Ab und zu bekomme ich noch Angstzustände oder eine Panikattacke, schaffe aber von Tag zu Tag längere Spaziergänge, Einkaufen und kochen. Sogar auf einer Geburtstagsfeier hielt ich es eine Stunde lang aus, ich kann wieder Autofahren, zur Krankengymnastik gehen.
Und ich konnte unsere Hauskirche besuchen und meine lieben Freunde wieder sehen. Dort schaffte ich es sogar den ganzen Abend durchzuhalten und es tat mir sehr sehr gut - besonders die Feier des heiligen Abendmahls, das gemeinsame Gebet und das gemeinsame Singen...
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